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Wissenschaftlich festgehaltene Hinweise auf Gesundheitsschäden infolge Funkwellenstrahlung gibt es seit den Dreissigerjahren des 20. Jahrhunderts 1, 2. Während Jahrzehnten erarbeiteten russische Forscher ein umfangreiches Wissen über Langzeitwirkungen von beruflicher Strahlungsbelastung3. In den USA entstanden ab den Siebzigerjahren mehrere Übersichtsarbeiten zu den Auswirkungen hochfrequenter Strahlung, dies vor allem seitens der Air Force und der Navy, teils unter Einbezug der Forschung aus der Sowjetunion. Darin gab es Belege für nichtthermisch-biologische Auswirkungen im Bereich der alltäglichen Strahlungsbelastung der Bevölkerung sowie vereinzelte Zukunftswarnungen. Militär, Behörden und Industrie der USA suchten die öffentliche Kommunikation darüber jedoch zu unterbinden. Die Gründung der ICNIRP4 von 1992 in Deutschland erfolgte in der Absicht, weltweit Strahlungsgrenzwerte durchzusetzen, die die militärischen und industriellen Vorhaben möglichst wenig behindern sollten. Da-zu gehörte das Bestreben, das Wissen von der Existenz nichtthermisch-biologischer Strahlungsauswirkungen nicht aufkommen zu lassen.
Mit der massiven Zunahme der Funkstrahlung seit den 1990er Jahren stieg auch die Zahl der gesundheitlich Betroffenen stark. Ursache sind Handys, Antennen, WLAN, schnurlose DECT-Heimtelefone und viele weitere Funkquellen. Umweltärzte und unabhängige Forscher warnen seit mehr als zwei Jahrzehnten davor. Weltweit lancierten sie immer wieder Appelle, doch die Medien berichten darüber kaum. Öffentlich ist die Meinung von Industrie, Behörden und deren wissenschaftlichen Beratern massgebend. Sie bestimmen, was "die Wissenschaft" sagt, nämlich: "Gesundheitliche Auswirkungen unterhalb der Grenzwerte sind nicht erwiesen." Zwar gibt es viele Studien, die das Gegenteil sagen und solche Auswirkungen belegen, aber sie werden ignoriert oder abqualifiziert. Ihre Ergebnisse werden indessen klar bestätigt durch die umfangreichen Praxiserfahrungen aus der Umweltmedizin sowie aus Messung und Beratung bei Betroffenen.
Die Ansichten in der Bevölkerung sind geteilt: Wer die Strahlung nicht spürt, kümmert sich wenig um ihre Risiken. Wer unter der Strahlung leidet oder sich aktiv informiert, erlebt bzw. anerkennt sie als schmerzhafte und potenziell gesundheitsgefährdende Wirklichkeit. Die Frage ist, wie verbreitet und schwerwiegend die Beeinträchtigung der Befindlichkeit und der Gesundheit in der Bevölkerung noch werden muss, bis die Strahlungsauswirkungen in allen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens allgemein anerkannt sind. Dies ist nicht zuletzt auch eine volkswirtschaftlich bedeutsame Frage.
1 Schliephake E., Arbeitsergebnisse auf dem Kurzwellengebiet. Deutsche Medizinische Wochenschrift, 05.08.1932
2 Steneck N.H. et al, The origins of US safety standards for microwave radiation. Science, Vol. 208, 13 June 1980
3 Hecht K., Auswirkungen von Elektromagnetischen Feldern - Eine Recherche russischer Studienergebnisse 1960-1996
4 ICNIRP = International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection