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Digitalisierung im Einklang mit den Klimazielen

Stromfresser Informations- und Kommunikationstechnologie

Die Digitalisierung soll helfen, Ressourcen effizienter zu nutzen. Sie basiert jedoch auf einer Technologie, die selbst immer mehr Strom verbraucht, der teilweise aus fossilen Energiequellen stammt.

Mit der Digitalisierung lassen sich Ressourcen wie Manpower, Transportkapazitäten, Rohstoffe und vor allem auch Energie effizienter nutzen. Adäquat eingesetzt kann sie also helfen, die Klimaziele zu erreichen und die Umwelt zu schonen (z.B. weniger Dünger einsetzen, Online-Konferenzen statt Flugreisen, Verkehrsströme optimieren, Stromverbrauch lenken um Spitzen zu brechen). Die Digitalisierung ist nicht von einer bestimmten Übertragungs-Technologie abhängig, auch nicht vom neuen Mobilfunkstandard 5G, wie oft behauptet wird. Der Anteil der Digitalisierung am Stromverbrauch der gesamten Informations- und Kommunikations-Technologie (ICT) und die damit verbundenen Auswirkungen auf das Klima, müssen einzeln für jede dazu dienende Technologie abgeschätzt werden. Noch fehlt die holistische, vertiefte Forschung dazu. Bisher betrachtet sie oft nur Teilaspekte. Die aktuelle Schweizer-Studie von Hilty et al.1 wird dem ganzheitlichen Anspruch bei Weitem nicht gerecht. Sie bezieht alternative Netzstrukturen, wie die Aussen-Innen- Trennung mit primärer Übertragung mittels Glasfaser, gar nicht in die Betrachtung ein.

Nimmersattes Streaming

Haupttreiber für das Wachstum des übermittelten Datenvolumens ist das Streaming, also die unmittelbar wiedergegebene Video- und Audiodaten übers Internet. Bereits beanspruchten diese mehr als 70 Prozent aller übers Internet transportierten Daten, bald wird Video alleine 80 Prozent der Datenmenge ausmachen (vgl. Grafik).

Grafik: Weltweiter Datenverkehr für verschiedene Anwendungskategorien in Exabyte pro Monat. Quelle Ericsson, Nov. 2020

Das Wachstum des Datenverkehrs ist nicht nur auf immer mehr und häufiger genutzte Anwendungen zurückzuführen. Die immer schnellere Datenübertragung – z. B. mit Mobilfunk der 5. Generation (5G) – ermöglichen bewegte Bilder in immer höhere Auflösung oder in 3D. Videos, Filme über Plattformen wie Netflix, Youtube und in Social Media oder in Websites eingebundene Filmchen, Online-Spiele, TV-Streaming, Videokonferenzen und Videoüberwachungen in hoher Bildqualität lassen den Datenfluss explodieren (vgl. Tabelle siehe PDF S. 22). Fehlanreize dafür bieten grosszügige Datenpakete oder gar Flatrates. Sie verleiten dazu, selbst für kleine Bildschirme eine hohe Auflösung zu wählen und Videokonferenzen einem Telefongespräch vorziehen. Dies alles verursacht mehr Stromverbrauch, sowohl für das Endgerät, die Übertragung und beteiligte Server. Letztere stehen oft in anderen Ländern oder gar Kontinenten, wo sie einen sehr klimabelastenden Strommix verbrauchen.

Tabelle: Hohe Videoqualität (Auflösung, Bildwiederholrate) braucht mehr Übertragungsleistung und verbraucht entsprechend mehr Energie. Schnelle Netze verleiten zur Nutzung hoher Videoqualität.

Datensicherheit kostet Energie

Die Datensicherheit hat bei der Digitalisierung zu Recht eine grosse Bedeutung. Die Daten- und Transaktionssicherheit kommt durch rechenintensive Verschlüsselung und Blockchain2 sowie netzwerkintensive Verteilung auf viele Datenströme zustande. Alleine die auf Blockchain basierende digitale Währung Bitcoin verbraucht heute weltweit 90 TWh pro Jahr. Das übersteigt den jährlichen Strombedarf der Schweiz deutlich.

Je schneller umso mehr

Mit 5G hält eine noch intensivere Mobilfunknutzung mit schwer abschätzbaren Folgen Einzug. Vor allem mobile Video dienste und eine kabellose Festnetzanbindung (FWA, fixed wireless access) der Haushalte werden ohne flankierende Massnahmen erhebliche Rebound-Effekte3 mit stark zunehmendem Energie- und Ressourcenbedarf auslösen. Dieser beschränkt sich nicht nur auf die Endgeräte und Zugangsnetze. Auch die Steuerung der komplexen 5G-Technologien, der Ausbau der Kernnetze dahinter und die Aufarbeitung und Bereitstellung der grösseren Datenvolumen in Rechenzentren irgendwo auf der Welt benötigt mehr Rechenleistung und damit Energie. Zudem ist 5G nicht gleich 5G. Die neue Mobilfunkgeneration nützt unterschiedliche Frequenzbänder und es gibt Anlagen mit und ohne adaptiven Antennen. Auch die Grösse der Funkzellen (feinmaschiges oder grobmaschiges Netz) und ob Hindernisse wie Wände überwunden werden müssen spielen eine Rolle. All das hat Einfluss auf die mögliche Übertragungsgeschwindigkeit und spektrale Effizienz4, somit auch auf deren Energieeffizienz. Wenn man also 5G mit anderen Mobilfunkgenerationen vergleichen will, muss man auch die Verschiedenheit von 5G-Funkzellen in die Betrachtung miteinbeziehen. Studien, die das nicht tun, allenfalls sogar nur von einer 5G-Variante ausgehen oder die Möglichkeit von Glasfaser bis zu den Endkunden ausser Acht lassen, sind nicht hilfreich.

Ein Internetanschluss der Gebäude mit Glasfaser (FTTH, Fibre to the Home) der neusten Generation ist hinsichtlich Datenrate und kürzester Latenzzeit (ermöglichen Anwendungen in Echtzeit), aber auch bezüglich Energieeffizienz jeder anderen Übertragungstechnologie bei Weitem überlegen. Sie verbraucht knapp 5 Mal weniger Strom als VDSL über Kupferkabel, ist energetisch gar knapp 10 Mal besser als eine heutige 5G-Mobilfunkverbindung durch Skalierbarkeit kann ein Glasfaseranbieter für jeden Anschluss eine vom gewählten Aboabhängige maximale Datenrate festlegen und mit einem abgestuften Tarifmodell Sparanreize schaffen, welche den Rebound-Effekte mindern können. Optimal sind also Glasfaserverbindungen bis möglichst zu den Endgeräten, die – wenn überhaupt – nur für die letzten paar wenigen Meter auf Kupferkabel oder eine Funkübertragung (WLAN, Mobilfunk Pico- oder Femtozelle) wechselt. Ein Durchdingen von massiven Wänden und Decken mit Mobilfunk ist zu vermeiden.

Grafik: Energetisch optimiertes Internet: So nahe wie möglich bis zum Endgerät mit Glasfaser (Fibre), nur die letzten Meter über Kupfer oder Glasfaser, alternativ mit Funk (WLAN, Mobilfunk-Femtozelle). Sendeanlagen sind sparsam auszulegen, wodurch diese Gebäude/Fahrzeughüllen nicht mehr unbedingt durchdringen können.

Sparsamere Technologie, aber …

Die technische Entwicklung ermöglicht eine stets grösser Dichte von elektronischen Bauteilen auf Chips. Mit jeder neuen Funktechnologie nimmt die spektrale Effizienz zu. Beides führt in der Regel zu einem geringeren Stromverbrauch bei gleicher Rechenleistung und Datenmenge. Hingegen steckt in der nötigen neuen Infrastruktur und den neuen Endgeräten viel graue Energie, die zur Gewinnung von teilweise problematischen Rohstoffen und zur Herstellung benötigt wurde. Für ein Smartphone sind es rund 100 Kilogramm CO2-Äquivalente. Diese Rohstoffe werden auch für die Herstellung von E-Fahrzeugen und den Ausbau erneuerbarer Energiequellen benötigt. Ob verfügbares Kapital in den Ausbau erneuerbarer Energien, in die Sanierung von Gebäuden oder in eine forcierte Digitalisierung investiert wird, ist klimarelevant.

Nach der Einführung neuer Technologien kommt es zu einer breiteren Nutzung sowie zu rechen- und datenintensiveren Anwendungen, weil diese das erst ermöglichen. Auch das benutzte Zubehör wie Ladestationen und Netzteile sind von Belang für den Stromverbrauch. Bei grösseren Anlagen ist auch die Kühlung klimawirksam. Sowohl deren Energiebedarf wie auch das Entweichen von Kühlmitteln, die als Treibhausgase wirken, sind in die Betrachtung einzubeziehen. Der Vergleich verschiedener Technologien ist hinsichtlich ihres Einflusses auf die Umwelt (Rohstoffabbau, Umweltverschmutzung bei der Produktion) und das Klima mit vielen Unsicherheiten behaftet.

Auf den Strommix kommt es an

Die Art der Stromerzeugung ist entscheidend für die Klimawirkung des Stromverbrauchs. Nicht nur bei uns, sondern auch in den Ländern, wo die Rechencenter stehen, von wo wir Daten beziehen oder die unsere Daten verarbeiten. Wächst der Strombedarf schneller, als dass der Ausbau an erneuerbaren Energiequellen liefern kann, dann nimmt der Verbrauch an fossiler Energie zur Stromerzeugung zu, vor allem Kohle und Gas. Das ist heute in der Schweiz leider der Fall. Die Planung, Bewilligung und Realisierung von grösseren Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energie oder zu deren Zwischenspeicherung, beispielsweise in Pumpspeicherkraftwerken, dauert länger als ein Jahrzehnt. Anlagen, die heute noch nicht geplant sind, stehen bis 2030 nicht zur Verfügung. Wie also sollen wir bis dann den gegenüber heute (je nach Szenarium) drei oder gar fünff ach höherer Gesamtstrombedarf (vor allem für Digitalisierung, E-Mobilität und Ersatz von Feuerungsanlagen durch Wärmepumpen) klimaschonend decken?

Flankierende Massnahmen

Leider werden neue Technologien – wie z. B. für 5G – eingeführt, bevor ihr Einfluss auf Energiestrategie und Klimaziele ganzheit lich untersucht wurde. Die vollständigen Forschungsberichte «Green Cloud-Computing 2020» und «UTAMO» werden detaillierte Antworten liefern. Die Studien orientieren sich jedoch an der Situation in Deutschland. Die dortige Netzstruktur und der Strommix unterscheiden sich von der Schweiz. Das Postulat Martina Munz «Digitalisierung und 5G im Einklang mit den Klimazielen» fordert eine Studie für die Schweiz. Diese ist für die richtigen politischen Entscheide dringend notwendig.

Zur Erfüllung der Klimaziele muss auch der Bereich der Digitalisierung CO2-neutral werden, besser: gesamthaft zu weniger Treibhausgasen führen. Der Stromverbrauch der ICT muss mindestens so weit begrenzt werden, dass der Ausbau erneuerbarer Energiequellen Schritt halten kann. Das wäre möglich mittels:

  • Netzstruktur mit Aussen-Innen-Trennung. Machbar über tiefe NIS-Grenzwerte, die keine Breitbandanbindung der Innenräume per Funk von aussen zulassen. Oder über Förderung des Glasfasernetzes bis in alle Gebäude, die Breitbandanschluss benötigen (Ausnahme: abgelegene Gebäude).
  • Anreize zur Vermeidung redundanter Übertragungskapazitäten beim Mobilfunk und zu grosser Reserven in Datencenter bei Datenspeicher und Rechenleistung.
  • Anreize für die Nutzung der Abwärme von ICT-Infrastrukturanlagen.
  • Besteuerung des transportierten Datenvolumens (Flatrates fördern die unachtsame Datennutzung). Diese Steuer würde dazu beitragen, dass ausländische digitale Produkte (z.B. Netflix, Marketing über Google und Social Medias, Cloud- und Videokonfernzdienste) nicht mehr steuerfrei konsumierbar wären. Einheimische Angebote mit kürzeren Übertragungswegen wären nicht länger benachteiligt (bei diesen könnte die Datensteuer die Mehrwertsteuer ablösen).

Es braucht auch bei der Digitalisierung Regulierungen, damit sie dem Klima deutlich mehr nützen kann als schaden.

1 Next generation mobile networks: Problem or opportunity for climateprotection? 2020 UZH/EMPA
2 Dezentrale kryptographische Datenblöcke, welche zur Sicherheit weit verteilt, verkettet vielfach abgebildet werden.
3 Energieeinsparung von Effi zienzsteigerungen wird durch Mehrnutzung und Nutzung neuer Angebote kompensiert.
4 Spektrale Effi zienz = Datenrate pro Frequenzeinheit (Hz).
5 Ergebnisse des Forschungsprojektes «Green Cloud-Computing » 2020 UBA.

Literatur unter:

https://bauhygiene.ch/dok/ref-digitalisierung-energie-klima.pdf

Markus N. Durrer ist Experte IBH (Institut für Bauhygiene), Radonfachperson sowie Elektro- und VDI Hygiene A Ingenieur. Seit Jahren unterstützt er die umweltmedizinische Beratung der AefU bei Fragen und mit hygienischen Abklärungen im häuslichen Umfeld von PatientInnen. Er ist Mitglied in der AefUArbeitsgruppe EMF.
chur@bauhygiene.ch / www.chur.bauhygiene.ch

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